Jemandem aufs Dach steigen
Die auch heute noch verwendete Wortverbindung "Jemandem aufs Dach steigen" verweist auf einen alten Rechtsbrauch, ist seit dem 16. Jahrhundert bekannt und wird seither auch und vor allem im übertragenen Sinne verwendet. Die Redensart meint, jemanden unter Druck setzen, ihn oder sie zurechtweisen oder zu bestrafen. Aber auch, sich heftig beschweren.
Greenpeace steigt Raiffeisen aufs Dach. - Damit Kunden den Handwerkern nicht aufs Dach steigen, sollten gerade Klempnerarbeiten sorgfältig ausgeführt werden. - Ich bin zwar nur ein kleiner Herold, werde denen aber aufs Dach steigen. - Wir müssen Henkel mal ordentlich aufs Dach steigen, sagt Peter Grottian vom Berliner Sozialforum. Damit er sieht, wie es ist, unter Beobachtung zu stehen. Normale, engagierte Bürger (...) können ihre Bürger- und Menschenrechte nicht mehr ausüben, ohne dass der Verfassungsschutz dabei ist.
Im Mittelalter hatte das eigene Haus noch eine Schutzfunktion für die Bewohner. Lebten in diesem Haus Gesetzlose, Verbrecher, Geächtete, existierte keine Zugriffsmöglichkeit. Auch nicht für Gerichtsdiener. Denn ohne die Zustimmung des Eigentümers durfte niemand das Haus betreten. Unter einem Dach lebende Menschen waren insofern nach der damaligen Rechtsauffassung vollkommen geschützt, der Zugriff nur unter freiem Himmel möglich.
Um den Gesetzesbrechern trotzdem habhaft zu werden, wurde den "Friedlosen" oder "Vogelfreien" (Geächteten) im 16., 17. Jahrhundert kurzerhand das Dach abgedeckt. War das Dach abgedeckt oder geöffnet, befand sich der Gesuchte unter freiem Himmel und besaß kein Dach mehr, das ihn vor dem Zugriff schützte. Das schloss auch sittenwidriges Verhalten ein. Beispielhaft erwähnt wird dabei oftmals, wenn sich ein Mann von seiner Frau schlagen ließ. Auch in diesen Fällen wurde das Dach abgedeckt und es erfolgte der behördliche Zugriff.
Dadurch sollte die Gemeinschaft geschützt, sittliches Verhalten durchgesetzt werden. Und es ging dabei nicht zuletzt immer auch um Abschreckung. Das öffentliche Abdecken des Daches erfolgte zumeist mit der Beschädigung des gesamten Gebäudes. Der entstandene Schaden war von den unmittelbar Betroffenen öffentlich zu beseitigen. Wurde also der Himmel ins Haus gelassen, wurden seine Bewohner vor der Gemeinde nicht nur sprichwörtlich bloßgestellt.
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 08.2015, S. 11.