Sein blaues Wunder erleben
Das Leben ist manchmal ziemlich vertrackt. Nichts geht mehr. Wer würde in dieser Situation nicht auf ein Wunder hoffen. Auf ein Ereignis, das den Naturgesetzen widerspricht. Aber bitte kein eingefärbtes. Schon gar nicht blau. Denn das verheißt nichts Gutes. Blau ist die Farbe des Blutes gewisser Leute, auch des Himmels, hat gleichwohl nach der einschlägigen Farbenlehre gemeinhin einen schlechten Ruf: "Das Blaue vom Himmel herunterlügen", "Mal wieder blau machen", "Jemandem blauen Dunst vormachen" oder "Sein blaues Wunder erleben".
Bekannt ist das seit dem Mittelalter, aus dem "Sein blaues Wunder erleben" stammen soll. Schon in jener Zeit stand Rot für Liebe, Gelb für Neid, Grün für Hoffnung, Blau für die Lüge und die Täuschung. Zugeschrieben wird diese bekannte Redensart den Färbern, Gauklern und Feuerschluckern. Denn nach dem Färben reagieren Farbtöne beim Aufhängen des Gewebes mit dem Sauerstoff. Der Stoff wurde infolgedessen oftmals auf wundersame Weise blau und der Färber erlebte "Sein blaues Wunder". Weiterhin hüllten sich die mittelalterlichen Gaukler und Feuerschlucker nur allzu gerne mit bläulichem Rauch ein, um ihre Tricks zu vernebeln. Und die verblüfften Zuschauer erlebten somit in gewisser Weise ein blaues Wunder.
Die angesprochene Redensart "Sein blaues Wunder erleben" verweist also zumeist auf den Schatten des Wunders. Auf dessen dunkle Seite. Die das Gegenteil von dem verspricht, was sich Menschen in kritischen Lebenssituationen wünschen: "Du hast mich reingelegt. Aber das zahl ich dir heim. Du wirst noch dein blaues Wunder erleben." - "Anfang des Jahres kommt die Betriebskostenabrechnung. Da wird mancher sein blaues Wunder erleben." - "Wenn sie erstmals vor einer Schulklasse stehen, erleben manche Pädagogen ihr blaues Wunder und zweifeln an ihrer Berufswahl." - Jedoch ist in solchen Lebenssituationen zu bedenken, dass nicht wenige Menschen ihr blaues Wunder erleben, weil sie vorher zu blauäugig waren.
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 02.2012, S. 11.