Den Faden verlieren
Die Redensart "Den Faden verlieren" ist nicht nur in Deutschland wohlbekannt, sondern auch bei unseren Nachbarn. Bei den Angelsachsen als "lose the thread", den Franzosen als "perdre le fil", den Niederländern als "verliest de draad". Gemeint ist damit, jemand vergisst, was er sagen wollte. Dass ihm während des Sprechens der gedankliche Zusammenhang entgleitet.
Beispiele für diese Redensart finden sich im Deutschen Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm (Leipzig 1854-1961) zum Stichwort "Faden", die dort Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) zitieren ("ich glaubte einige gelassene augenblicke zu haben, darum liesz ich sie rufen, sie sind nun da, und ich habe meinen faden verloren."). Finden sich bei Adolph Freiherr von Knigge (1752-1796), bei Hugo von Hofmannsthal (1874-1929), Wilhelm Busch (1832-1908) und an ungezählten anderen Fundstellen, wie einige angestaubte Beispiele belegen.
"Ich habe der vielen Beispiele halber, die sich hier meinem Gedächtnisse aufdrängen, den Faden des Perioden verlohren, und reiße ihn lieber ganz ab, um von neuem anzuheben." - "Leute, die in der Jugend an Höfen und in großen Städten keine unbeträchtliche Rolle gespielt, die vielmehr dort geglänzt, nachher aber sich zurückgezogen, sich einer einfachern Lebensart gewidmet haben, vergessen gar zu leicht, daß, um hier immer ein Modegesicht zu bleiben, man nie den Faden der herrschenden Konversation aus der Hand verlieren, nie versäumen darf, auch in den kleinsten Fortschritten, der Kultur - wenn man das Kultur nennen muß - nachzufolgen." - "Als neulich am Sonntag der Herr Pastor / Eine peinliche Pause machte, / Weil er den Faden der Rede verlor, / Da duckt' sich der Küster und lachte."
Uneins sind sich die Experten, wenn es um die Herkunft der Wendung geht. Mal heißt es, die Wendung sei in den Handarbeiten verwurzelt. Wenn jemand der Faden aus der Hand rutscht und der Fortschritt der Arbeit beeinträchtigt wird. Andere verweisen auf den Ariadnefaden, der den Weg durch ein Labyrinth markiert. Verliert man den Faden, geht die Orientierung verloren, der Ausgang wird nicht gefunden. Der sogenannte Ariadnefaden war ein Geschenk der Prinzessin Ariadne an Theseus. Mit Hilfe des Fadens fand Theseus den Weg durch das Labyrinth, in dem sich der Minotauros befand. Nachdem er den Minotauros getötet hatte, konnte er entlang des Ariadnefadens das verwirrende Labyrinth wieder verlassen.
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 08.2018, S. 11.