Hörner aufsetzen
Es gibt Redewendungen mit zahlreichen Synonymen, die ihren Kern geradezu erhellen. So finden wir für das "Hörner aufsetzen": betrügen, ehebrechen, Untreue, Seitensprung und so weiter, die allerdings noch geschlechtsneutral sind, während das Hörner aufsetzen als eines der zahlreichen Privilegien richtiger Männer gilt. Und unser starker Mann wird das immer dann schönreden, wenn er aktiv dabei ist, und es verteufeln, sobald es ihm widerfährt.
Um die Herkunft dieser Redewendung ranken sich viele Geschichten, die sich rund um unseren Globus spannen und verstreut über die ganze Welt finden lassen. Eine beliebte ist, dass sie mit dem Hahnrei (betrogener Ehemann) oder Kapaun (kastrierter Hahn) zu tun habe. Denn früher wurden dem Kapaun die abgeschnittenen Sporen in den Kamm gepflanzt, wo sie weiterwachsen sollten. So erkannte man ihn bereits an seinen Hörnern. Und nicht wenige böse Zungen behaupten, wenn die sogenannte Manneskraft nachlasse, sei es verständlich, dass sich die Frau von einem anderen Bock besorgen lasse, was ihr im eigenen Stall fehle. Jedoch werden sich viele, selbst aufgeklärte Menschen brüskiert von dieser naturalistischen Sicht der Dinge abwenden und sich stattdessen lieber von unrealistischer Ethik oder, noch besser, von den romantisch verklärten und verschrobenen Liebesgeschichten einer Rosamunde Pilcher einsäuseln lassen, die in nur selten zu beobachtender Einigkeit nicht müde werden, einen verklärenden Schleier über den alltäglichen Naturalismus des Hahnreis zu spinnen.
Wie ist es aber überhaupt möglich, dass die Frau den Mann betrügt? Ist das so ähnlich, als wenn ich mir klammheimlich das Auto des Nachbarn für eine Spritztour borge? Natürlich gab es eine Zeit, in der Ehebruch noch ein Fremdwort war. In der die Kinder zur Sippe gehörten. In der es gleichgültig war, von wem sie stammten. Anders wurde das jedoch mit Einführung des Privateigentums, das die Frau einschloss. Die sollte ihrem Eigentümer kein Kuckucksei ins Nest legen. Die Dringlichkeit dieses Anliegens sehen wir darin, dass die Ehebrecherin mancherorts noch bis heute mit drastischen Strafen rechnen muss. Dass die Männer in einer Alpenrepublik bis in die 70er Jahre keinen Sinn darin sahen, ihrem Eigentum das Wahlrecht einzuräumen. Dass bei uns die Ehemänner bis in die Neuzeit noch entscheiden konnten, ob ihr Eigentum einer Erwerbstätigkeit nachgeht. - Wie verhalte ich mich aber, wenn jemand sagt, das seien alte Kamellen aus dem Märchenbuch, vor allem sei das heute wirklich alles völlig anders, also die Rechte der Frau und so? Für diese Fälle von Realitätsverlust empfehlen ausgewiesene Experten: Tief durchatmen und auf keinen Fall widersprechen!
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 18.2008, S. 11.