Jemanden hinters Licht führen
In den von Jacob und Wilhelm Grimm gesammelten und Anfang des 19. Jahrhunderts (1812) in Berlin veröffentlichten "Kinder- und Hausmärchen" findet sich ab der 2. Aufl. das Märchen vom Bürle (Bäuerlein), das wie andere, etwa "Zu dem Schneider, der bald reich wurde", auf das Wesen der hier zu besprechenden Redensart "Jemanden hinters Licht führen" zeigt.
Dieses Wesen der Redensart erhellt ein prägnanter Auszug des Märchens. - "Nun ärgerten sich die Bauern, dass sie vom Bürle hinters Licht geführt waren, wollten Rache nehmen und verklagten es wegen des Betrugs bei dem Schultheiß. Das unschuldige Bürle ward einstimmig zum Tode verurteilt und sollte in einem durchlöcherten Fass ins Wasser gerollt werden. Bürle ward hinausgeführt und ein Geistlicher gebracht, der ihm eine Seelenmesse lesen sollte. Die anderen mussten sich alle entfernen, und wie das Bürle den Geistlichen anblickte, so erkannte es den Pfaffen, der bei der Frau Müllerin gewesen war. Sprach es zu ihm, ich hab euch aus dem Schrank befreit, befreit mich aus dem Fass." - Es ist ein Märchen, das gut ausgeht für den, der vermeintlich hinters Licht führte, schlechter für die hinters Licht geführten.
Folgt man dem Duden (Redensarten), waren im 17. Jahrhundert noch andere Präpositionen im Gebrauch, so etwa "um das Licht führen", "unter das Licht führen", die sich allerdings nicht durchgesetzt haben. Das sich dahinter verbergende Anliegen ist, jemanden "hinter das Licht" zu führen, wo es dunkel ist, man nicht richtig sieht, was vor sich geht. Um ihn zum eigenen Vorteil zu täuschen, zu überlisten, hereinzulegen, zu betrügen, was später oft beklagt wird.
"Wie die Bundesregierung die Menschen hinters Licht führt." - "100 Lungenärzte führen die Öffentlichkeit mit falschen Zahlenangaben hinters Licht." - "Als Dieselbesitzer fühle ich mich als Kunde hinters Licht geführt." - "Zwar gibt es weniger Trickdiebstähle, aber immer noch lassen sich nicht nur Ältere mit dem Enkeltrick hinters Licht führen." - "Er versuchte das Finanzamt hinters Licht zu führen und landete für eine gewisse Zeit im Gefängnis."
Auch eine Bibelstelle soll die Redensart bereits belegen. Dazu heißt es in der "Gute Nachricht Bibel" (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2018) im Evangelium nach Johannes: "Ihr habt euch also auch von ihm hinters Licht führen lassen!, sagten die Pharisäer." (NT, Johannes 7, 47) - Anders in der Ausgabe der "Katholischen Bibelanstalt" (Stuttgart 2009): "Da entgegneten ihm die Pharisäer: Habt auch ihr euch in die Irre führen lassen?" (NT, Johannes 7, 47) - Und in "Neues Testament und Psalmen" des "Gideonbundes" (Ausgabe 1992) ist zu lesen: "Da antworteten ihnen die Pharisäer: Habt ihr euch auch verführen lassen?" (NT, Johannes 7, 47) - Was einerseits vom Ergebnis her betrachtet keinen wirklichen Unterschied machen dürfte, andererseits jedoch dafür spricht, sich von den oftmals uneinheitlichen zahlreichen Übersetzungen der Bibel nicht auch noch hinters Licht führen zu lassen.
Die Herkunft der Redensart "Jemanden hinters Licht führen" bleibt unbeantwortet. Der Versuch von Lutz Röhrich, in seinem "Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten" (Freiburg im Breisgau: Verlag Herder, 2003) die Redensart mit einer möglicherweise historisch älteren gleichzusetzen - "Einen um (auch in oder hinter) die Fichte führen: ihn hinters Licht führen, täuschen, … " (S. 442) - muss mit gebotener Vorsicht als gescheitert bewertet werden.
Dazu ausklingend ein chinesischer Aphorismus, den sich nicht nur "jemand" vorausschauend hinter die langen Ohren seines grauen Vetters schreiben sollte: "Führst du mich einmal hinters Licht, Schande über dich; führst du mich zweimal hinters Licht, Schande über mich!"
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 12.2019, 13. Jg., S. 11.