Graf Koks
Das typische Verhalten von Menschen lässt sich unschwer in drei Gruppen einteilen: Die ständig jammernden (Das kann nicht gut gehen… Pessimist), die sachlichen (Nun bleib mal auf dem Teppich… Realist) und die ständig übertreibenden (Das wird so toll… Optimist).
Auf diese Verhaltensmuster reagiert die Umwelt fast immer erwartungsgemäß mit besonders einfühlsamer Achtsamkeit und angenehmen Streicheleinheiten. Darum ist fast jeder Mensch bemüht, seine erfolgreichen Verhaltensmuster ständig zu kultivieren. Lernen kann man das von Graf Koks, selbst wenn Neidhammel und andere trübe Tassen glauben, er sei nichts als ein "Angeber" und furchtbar "eingebildet" obendrein. In Berlin firmiert dieser "feine Pinkel", der gekleidet wie ein Pfau durch sein Revier stolziert, als "Graf Koks von der Popelsburg" oder im typisch Berliner Gassenjargon als "Graf Kacke" oder noch kürzer als "Graf Koks". Andernorts begegnet uns dieser Zeitgenosse als "Graf Koks von der Gasanstalt", "Graf Koks von der Müllkippe" oder "Graf Rotz von der Backe". Und auf den Punkt gebracht wird er umschrieben als "Du läufst rum wie Graf Koks, und deine Alte muss malochen gehen!"
Namensgebend für diesen "Berliner Adel" ist ein kleiner runder steifer Hut (Melone oder Koks). Dieser Hut wurde durch den im späten 19. Jahrhundert in England lebenden Earl (Graf) Thomas William Coke (Koks) und den Komiker Charlie Chaplin populär. Beliebt waren und sind die Koks auch bei den Wandergesellen der Zünfte, die nur allzu gerne ihre Geschichten erzählen und dabei niemals vergessen, sich in ein günstiges Licht zu setzen.
Als weit verbreitet gilt allerdings der Irrglaube, der Pfau kreuze unseren Lebensweg nur im wirklichen Leben. Denn stecken wir unsere Nase in die Belletristik, kommt er uns in schöner Regelmäßigkeit als Metapher daher oder gleich höchstpersönlich. Wie bei Kurt Tucholsky alias Peter Panter, der den feinen Pinkel in einer seiner Geschichten jedoch respektabler ins Bild setzt als gemeinhin üblich. Darin geht es nämlich um den "klugen Graf Koks", der einen Gerichtsvollzieher auf sein Schloss bestellt und in seinem Beisein an einen Freund schreibt:
Lieber Freund! Da ich weiß, dass das Postfräulein Emilie Dupont dauernd unsere Briefe öffnet und sie liest, weil sie vor lauter Neugier platzt, so sende ich dir inliegend, um ihr einmal das Handwerk zu legen, einen lebendigen Floh. Mit vielen schönen Grüßen, Graf Koks
Den Brief verschließt er in Gegenwart des Gerichtsvollziehers, legt jedoch keinen Floh hinein. - Als der Brief ankommt, ist einer drin.
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 19.2008, S. 11.