In medias res gehen
"Nun komm endlich zur Sache, sagte er zu ihr. Und sie ging sofort in medias res, als hätte sie nur wenig Zeit und müsste sich äußerst kurz fassen." - Wenn jemand in medias res geht und etwas über die Henne berichten soll. wird er gewiss auf die Frage verzichten: Was war zuerst da - die Henne oder das Ei? Er wird vielmehr ohne jeglichen Zickzackkurs, ohne Umschweife und Umwege über die Henne berichten. - Geht jemand "in medias res", kommt er also sofort zur "eigentlichen Sache" oder auf den "springenden Punkt", um den es geht.
Die Phrase "in medias res" oder "medias in res" wurzelt im Lateinischen "medias" (mitten) und "res" (Ding, Sache) und meint "mitten in die Dinge". Zugeschrieben wird die Phrase dem römischen Dichter Horaz, der 65 bis 8 v. Chr. lebte und in seiner Ars Poetica mit "medias in res" den Erzählstil von Homer in dessen Ilias lobte, weil er seine Ilias nicht "ab ovo" (vom Ei) begonnen hat, mit dem Zwillings-Ei der Leda, sondern ohne Umschweife ins Leben greift. In seinen Worten und ins Deutsche übersetzt: "Stets dort eilt er zum Ziel und in der Mitte des Stoffes reißt er den Hörer mit, als wäre er bekannt mit dem Vorgang." - mit "ab ovo"!
Das von Horaz verwendete "ab ovo" ist gewissermaßen der unterhaltsame Gegensatz zu "in medias res gehen" und eine offene Anspielung auf den als Schwan verwandelten Zeus und eines der Zwillings-Eier von Leda, aus dem Helena als Tochter von Zeus und Leda schlüpft. Mit denen Homer seine Erzählung auch hätte beginnen können. - Denn wenn Leda das Ei nicht gelegt hätte, wäre Helena nicht aus dem Ei geschlüpft, der trojanische Prinz Paris hätte sie nicht entführen können und es wäre niemals zum Krieg um Troja gekommen. - Somit gilt "ab ovo" als stille Einladung, die vollständige Geschichte zu berichten, während "medias res" verlangt, ohne Wenn und Aber zum Wesentlichen zu kommen, auch wenn es in diesem und jenem Falle auch noch so schwer fallen und von mangelnder Einsicht begleitet sein sollte.
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 01.2012, S. 11.
