Nicht ganz richtig im Oberstübchen sein
Anders gefragt: Gibt es jemand, der ohne Wenn und Aber behauptet, ganz richtig in seinem Oberstübchen zu sein? Ein vorbehaltloses Ja wäre verdächtig und ließe vermuten, dass dieser Mensch zeitnah bei einem Psychiater vorstellig werden sollte oder noch nicht gründlich genug untersucht worden ist. Gott sei Dank wird es bei den meisten Menschen bei der Antwort einen Zweifel geben. Zumindest das. Ausgenommen die, denen nicht richtig bewusst ist, um was es tatsächlich geht. Denn jeder Mensch funktioniert ganz prima. Wenn da nur nicht die anderen wären und uns immer gehörig damit auf die Nerven gehen, dass sie anders sind als wir.
Umgangssprachlich meint die Redensart, nicht bei Verstand, bei Sinnen zu sein, einen an der Klatsche zu haben, eine Schraube locker, verrückt, bekloppt, närrisch, nicht bei Trost zu sein, nicht ganz richtig im Kopf, von allen guten Geistern verlassen. Ob das so ist, stellen andere fest. Ein Psychiater, dessen wackelige Diagnose mit der gebotenen Skepsis betrachtet werden sollte. Denn eigentlich bedeutet die Diagnose: Du bist anders als ich oder die anderen oder die Statistik und andere furchterregende Dinge. Und in der Psychiatrie ist immer ein Bett frei.
Allerdings ist man in unserer Gesellschaft ein wenig gehemmt, jemand so etwas ins Gesicht zu sagen. Wie schnell könnte man ihn damit verletzen oder noch mehr verwirren. Und wer möchte das schon? Darum umschreibt man es mit dem Oberstübchen. Das meint eine kleine Kammer oben im Haus, unterm Dach. Ist dieses Dach nicht mehr ganz dicht, lässt sich der Raum nur noch bedingt nutzen. Und nun muss der Bekloppte selbst darauf kommen, was gemeint sein könnte. Und das scheint eine Herausforderung zu sein, die manche Menschen einfach überfordert. Die psychiatrischen Kliniken sind voll davon. Auch von den Psychiatern, die damit ihren Lebensunterhalt ziemlich gut bestreiten, mit den undichten Oberstübchen.
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 01.2013, S. 11