Hic Rhodus, hic salta!
Der griechische Dichter Äsop lebte um 600 vor Christi. Er war berühmt für seine Fabeln und Gleichnisse und gilt in Europa als Begründer der Fabeldichtung. Zu den äsopischen Fabeln zählt "Der Fünfkämpfer als Prahlhans". In dieser Fabel geht es um einen Athleten, der damit protzt, auf Rhodos einen gewaltigen Sprung getan zu haben, für den es Zeugen geben soll. Als die Zuhörer genug von der Prahlerei hatten, sagt einer zu dem Athleten: "Freund, wenn es wahr ist, bedarf es keiner Zeugen; hier ist Rhodos, hier springe - hic Rhodus, hic salta!"
Im Zeitablauf wurde der Ausspruch teilweise abweichend interpretiert, was in der Regel mit der unscharfen lateinischen Übersetzung erklärt wird. So finden wir bei Hegel: "Hier ist die Rose, hier tanze!" Und vermutlich beeinflusst von Hegel, dessen Philosophie er nach eigenen Angaben vom Kopf auf die Füße stellen wollte, lesen wir bei Karl Marx: "Proletarische Revolutionen … schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältnisse selbst rufen: Hic Rhodus, hic salta! Hier ist die Rose, hier tanze!"
Die erwähnte äsopische Fabel richtet sich gegen Hochstapelei und Prahlerei. Sie fordert die Menschen auf, das Behauptete zu beweisen. Dabei kann allerdings nicht in jedem Fall eine positive Beweisführung erwartet werden. Wie oft kehren sich doch die Vorzeichen um. So könnte man spaßeshalber zu einem wie auch immer gefärbten Volksvertreter nach der Wahl sagen: "hic Rhodus, hic salta!" Und sollte der Abgeordnete nicht in eine andere Richtung springen als er vor der Wahl versprochen hat, wäre das jedenfalls äußerst verwirrend.
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 27.2008, S. 11.