Ein Buch mit sieben Siegeln
Tatsächlich begegnet uns die Redensart "Ein Buch mit sieben Siegeln" vielfach. Nicht nur in der Literatur, zwischen angestaubten oder modern daherkommenden Buchdeckeln. O nein, sie begegnet uns in unschöner Regelmäßigkeit keineswegs allzu selten im wirklichen Leben. Mal hier, mal dort. Selten erwünscht oder willkommen. Mal ein Mensch, der uns begegnet und uns undurchsichtig erscheint. Dann ein Ding oder eine verzwickte Sache, die wir nicht verstehen können oder so rein gar nicht begreifen mögen. Bisweilen den Forschergeist motivierend.
"Liber signatum septem sigillis" (Ein Buch bezeichnet mit sieben Siegeln). Als Fundstelle gilt gemeinhin die "Offenbarung des Johannes" (5.1), die sich auf einen Seher bezieht, der eine Buchrolle nicht öffnen und infolgedessen deren Inhalt nicht lesen konnte, weil sie mit sieben Siegeln verschlossen war: "et vidi in dextera sedentis super thronum librum scriptum intus et foris signatum sigillis septem" (Und ich sah in der Rechten dessen, der auf dem Throne saß, ein Buch, beschrieben inwendig und auswendig, versiegelt mit sieben Siegeln.). Oder nach Martin Luther (1483-1546) und in der Lutherbibel nachzulesen: "Vnd ich sahe in der rechten Hand des, der auff dem stuel sass, ein Buch geschrieben inwendig vnd auswendig versiegelt mit sieben Siegel." Sodann öffnet das Lamm Gottes ein Siegel nach dem anderen und löst die Apokalypse aus. Den Kampf zwischen Gut und Böse. Das Ende unserer Welt. Wenn wir auf Johannes vertrauen, was wir in der Tat sollten. Gefolgt von dem Reich Gottes: Eine friedvolle Zeit, in der Gott der König ist und keine Menschen mehr über andere Menschen herrschen.
Doch andernorts, bei dem Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), lässt Faust seinen Famulus Wagner wissen: "Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit, sind uns ein Buch mit sieben Siegeln. Was ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln". (Der Tragödie erster Teil, Nacht, 575)
In all diesen sich dem Uneingeweihten kaum erschließenden Verlautbarungen verborgen und nicht minder behutsam eingebettet die vielfach übersehene, überlesene, überhörte magische Sieben. Die sieben Tage der Schöpfung, die sieben Sakramente, sieben Todsünden, sieben Gaben des Heiligen Geistes, die letzten sieben Worte Jesu am Kreuz. Nachhaltig beeinflusst dadurch wurden kurzerhand selbst aus den neun Wissenschaften der Antike die Sieben Freien Künste. Eben auch, weil es ach so praktisch, auf den magischen Nenner der Sieben gebracht. Wen wundert's, dass die Sieben einem beachtlichen Teil der Menschen als Lieblingszahl gilt.
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 05.2015, S. 11.