Jemanden übers Ohr hauen
Die Redensart "Jemanden übers Ohr hauen" dürfte es gar nicht geben. Beschreibt sie doch äußerst fragwürdige Machenschaften, die schon wegen einer Generalklausel des bürgerlichen Rechts als sittenwidrig gelten. Sittenwidrig ist jedes Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt. Als gute Sitten gilt das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, was in einer pluralistischen Gesellschaft kaum feststellbar ist. Von daher müssen besonders strenge oder liberale Maßstäbe von Gruppen oder Einzelnen unberücksichtigt bleiben. Denn in Verbrecherkreisen gelten bekanntlich andere Maßstäbe als in den Kreisen der sogenannten guten oder bürgerlichen Gesellschaft. Und natürlich und nicht zuletzt auch durchaus andere Methoden, wenn es gilt, jemanden auf grobe oder elegante Weise übers Ohr zu hauen.
Das Wesen dieser Redensart zeigt seine zynische Fratze immer dann, wenn jemand betrogen oder übervorteilt wird. Sei es von einem Berufsverbrecher oder von einem ansonsten ehrbaren Bürger im Nadelstreifen. Stammen soll die Redensart aus einer Zeit, als man die Dinge noch mit Knüppeln, Schwertern, Säbeln oder den Fäusten regelte. Der stärkere oder trickreichere war dabei im Vorteil. Genauer soll die Redensart jedoch aus der Fechtsprache stammen. Dort ist es wohl keineswegs unüblich gewesen, dem Gegner aus der Defensive trickreich einen gezielten schmerzhaften Hieb über dem Ohr zu versetzen, um sich so einen Vorteil zu verschaffen. Schon eine kräftige Ohrfeige lässt erahnen, wie schmerzhaft das ist.
Heutzutage ist es keineswegs ungewöhnlich und wird somit kaum jemanden überraschen, dass es in zahlreichen gesellschaftlichen Kreisen, quer durch die Bevölkerung, bereits zum guten Ton gehört, dass einer den anderen, die Staatskasse keineswegs ausgenommen, übers Ohr haut. Presse und Nachrichten sind voll davon. Darum soll Justitia die Sittenwidrigkeit auch endlich in eine zeitgemäße Fassung bringen, schon um die Gerichte zu entlasten.
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 12.2012, S. 11.