Einen Zahn zulegen
Es gibt solche und solche. Das ist bekannt. Da gab es zum Beispiel den Leiter einer großen Berliner Volkshochschule. Ein ehemaliger Berufsmusiker mit Karriereknick. Jetzt ein mäßig bezahlter Verwaltungsbeamter. Der spielte scheinbar den ganzen lieben Tag nur Klavier. Also Beethoven rauf und runter. Trotzdem zählte seine Volkshochschule deutschlandweit zu den besten und vorbildlichsten. - "Es gibt eben Menschen, die machen es nach vier Stunden, und andere, die brauchen vier Stunden", antwortete er stets, wenn er nach dem Geheimnis befragt wurde. Das versteht man sofort, wenn man den anderen begegnet. Die immer beschäftigt sind und nie Zeit zum Klavier spielen finden. Denen man beim Laufen die Schuhe besohlen kann. Die ganz gewiss die Langsamkeit erfunden haben. Denen aus eigenem Antrieb niemals in den Sinn kommen würde, einen Zahn zuzulegen. Das passt einfach nicht zu ihrem Wesen.
Einen Zahn zulegen, das musste früher allerdings oft das Gesinde. Als noch mit einer offenen Feuerstelle der Wohnraum geheizt und auch gekocht wurde. Um die vielen hungrigen Mäuler zu stopfen. Damals hing meistens ein Kessel für die Zubereitung der Speisen an einer groben Zahnstange über der Glut, mit der man die Temperatur beim Kochen regulieren konnte. Und wenn es schneller gehen sollte, weil den Herrschaften bereits der Magen knurrte, wurde der Kessel einen Zahn tiefer gehängt. - Dieses Prinzip begegnet uns später auch bei den ersten Kraftwagen. Die hatten einen Handgashebel mit einer aus einem Zahnkranz bestehenden Arretierung, um die Fahrgeschwindigkeit zu regeln. Etwas ganz ähnliches sehen wir heute noch in behindertengerechten Autos. Und wenn es schneller gehen sollte, schaltete man einen Zahn weiter, und das Fahrzeug beschleunigte wunschgemäß. - Nichts anderes erwarten wir von den Menschen, denen wir immer wieder gebetsmühlenhaft sagen müssen: "Kannst du nicht endlich mal einen Zahn zulegen, wir möchten heute noch fertig werden!"
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 22.2008, S. 11.