Jemandem Zunder geben
Manche Redensarten haben in der Tat mehrere Gesichter: Ein durchaus beliebtes, bei den Menschen willkommenes, und ein anderes, das sich verständlicherweise keiner besonderen Wertschätzung erfreut. Das zeigt sich geradezu beispielhaft bei der Redewendung "Jemandem Zunder geben", die heute zumeist in einem Sinne verwendet wird, der erahnen lässt, dass der Empfänger gerne auf den Zunder verzichtet hätte - was vor unserer Zeit undenkbar war.
Zunder ist ein leicht entflammbares Material, das einst zum Anzünden des Feuers verwendet wurde. Dazu heißt es in Grimms Wörterbuch: Beim Zunder handele es sich um eine lockere, pulverige Masse aus pflanzlichen Stoffen, welche durch den am Stein geschlagenen Funken zum Glimmen gebracht werde. Der Zunder werde aus Baumschwämmen durch Kochen in Lauge hergestellt, teils aus mulmigem Holze. - Um den Zunder aufzubewahren, wurde er in einer Zunderbüchse transportiert, in der neben Zunder ein Flint (Feuerstein) und ein Pyrit (Schwefelkies, auch Katzengold) enthalten waren. Dabei ist Pyrit der eigentliche Feuerstein, der durch den Schlag entzündet wird. Somit bestand ein "steinzeitliches Feuerzeug" aus Flint, Zunder und dem Pyrit, aus dem mit dem Flint die Funken geschlagen wurden, die den leicht entflammbaren Zunder entzündeten und schlussendlich das Feuer zum Auflodern brachten.
Heute hat sich die Redensart von seiner ursprünglich positiven Bedeutung weitgehend gelöst und beschreibt zumeist im übertragenen Sinne das plötzliche Auflodern von Zorn oder das Brennen der Schläge auf der Haut. - "Wenn meine Eltern das erfahren, werde ich richtig Zunder bekommen." - Andererseits ist es für manche Menschen ein Geschenk, Zunder zu bekommen. Denn manchmal braucht es Menschen, die uns mal richtig Zunder geben, um im übertragenen Sinn aus einer zündenden Idee eine wirkliche Flamme entstehen zu lassen. Und wer würde sich nicht wünschen, dass seine Geistesblitze hellauf zu lodern beginnen?
* Autor: Dr. Franz-Josef Hücker; -- Quelle: das Akazienblatt Nr. 12.2010, S. 11.